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Löcher in der Luft.


Die Lange Nacht der Chinesischen Musik eröffnet Berlins "MaerzMusik"

Was, wenn Musik nichts anderes wäre als der brüchige Rand um die Stille herum? Vielleicht ist sie ja das, was die Stille umgibt, um ihr eine Fassung zu geben wie der Rahmen einem Gemälde? Jene neue chinesische Musik, die zur Eröffnung des neuen Berliner Festspiele-Festivals "MaerzMusik" zu hören war, erweckt jedenfalls den Eindruck, als klinge die Stille in China anders als bei uns.
Zwei Konzerte gab es an diesem Abend, eines vom Nieuw Ensemble Amsterdam, das die Neutöner aus China auf modernen Instrumenten zu Gehör bringt und eines vom ebenso vorzüglichen China Found Music Workshop aus Taipei, das neue Kompositionen mit traditionellen Instrumenten aufführt, mit Mundorgel und Pipa (der chinesischen Laute), Röhrengeige und Zither. In den schönsten Momenten versetzten beide das Publikum in Trance. Diese Musik behelligt einen nicht. Sie lässt das Blut langsamer zirkulieren und putzt einem die Ohren.
Der Bambusflötenspielen hält eine Lackschale in der Hand, wirft Silberkugeln hinein und bringt sie zum Kreiseln, bis das Klacken der Kugeln sich in einen hohen, sirrenden Klang verwandelt. Der Bariton Shi Kelong artikuliert Vokale mit der Autorität eines verführerischen Despoten, die Sopranistin Ellen Schuring betört den Hörer mit schmeichlerischen Glissandi. Hypnotisch vibrierende Klangflächen wechseln mit auskomponierten Seufzern, Klavier und Pipa horchen einander neugierig aus: Wo sind wir ähnlich, was unterscheidet uns? Es ist eine Musik der minimalen Differenz, deren Expression ins Innere zielt. Nicht die großartig ausholende melodische Geste sorgt für den Ausdruck, sondern die Konzentration auf die Aura eines fragilen Geräuschs, der Pause, des einzelnen Tons. Er blüht auf und vergeht, wird zerdehnt, zerfasert und vom Schlagwerk mit Wucht zusammen gepresst.
Trauergesänge, Klanggespinste. Das schmerzerstarrte Klagelied in Qu Xiaosongs "Mist", nach den Versen der im 18. Jahrhundert verschleppten Dichterin Cai Wenji. Die amorphen Tonfiguren in Shih Pei-Yus "Chieh I", die sich unmerklich zu eindringlichen Rhythmen organisieren. Der Humor in Bernhard Gáls "Of Sound and Time", der Störgeräusche vom Huster bis zum Handy-Klingeln in seine zyklische Zeit-Studie einbaut. Und die Einsamkeit im simultan-chaotischen "Wörterbuch der Winde", Sandeep Bhagatis Auftragswerk für beide Ensembles zusammen: All das kommt uns in seiner Fremdheit hautnah - und hätte doch der ein oder anderen Erklärung bedurft.
Die Berliner Festspiele wollen mit der "MaerzMusik" neue Hörer gewinnen, jenseits des Fachpublikums. Es kann nicht schaden, ihnen mit ein paar Worten entgegen zu kommen. Wer mehr weiß, der hört auch mehr.

Christiane Peitz, Der Tagesspiegel, 10.3.2002



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