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Zum Mitseufzen


Die "Lange Nacht der chinesischen Musik"

Das Nadelöhr, durch das seit den späten achtziger Jahren die Musik einer neuen Generation chinesischer Komponisten auch Europa erreichte, liegt in den Niederlanden. Dort, wo man in mancher Hinsicht musikalisch neugieriger, unbefangener reagiert, war es vor allem das Nieuw Ensemble Amsterdam, das intensive Kontakte zu jener Musikszene knüpfte, die sich nach dem Ende der Kulturrevolution neu entwickelte. Kompositionsaufträge wurden vergeben, Stücke entstanden, die die exotischen Reizwerte der chinesischen Musik - ihr Zeitgefühl und den expressiven Klang - mehr oder minder seriös in adaptierten westlichen Idiomen einem europäischen Publikum zu vermitteln suchten.
Eine Auswahl aus diesem Repertoire stellte das Nieuw Ensemble jetzt bei der MaerzMusik vor. Zur "Langen Nacht" der Chinesischen Musik wurde das Konzert durch den sich anschließenden Auftritt des China Found Music Workshop aus Taipeh. Dieser spielte, umrahmt von zwei traditionellen, klanglich aIlerdings ziemlich aufpoliert wirkenden Stücken, eine Reihe neuer Stücke, in denen sich taiwanesische und europäische Komponisten mit dem traditionellen chinesischen Instrumentarium auseinandersetzen.
Auch in Japan und Korea gibt es Tendenzen, die sich auf ähnliche Weise um eine Verschmelzung europäischer und asiatischer Musik aus der eigenen Perspektive heraus bemühen; was dort entsteht, könnte auch für uns vielleicht einmal zur großen Bereicherung werden, jenseits aller modischen Stilisierungen. Momentan allerdings erscheint ziemlich unklar, wie fruchtbar diese neue Auseinandersetzung vom Künstlerischen her jenseits der Bedienung eines neuen Marktes möglicherweise einmal sein wird.
Gleich drei Kompositionen des zweiten Konzertes entstanden als Auftragswerke der Berliner Festspiele. Das Ergebnis nach sechs langen Stunden wirkte ziemlich ernüchternd. Man vermißte vor allem Stücke, die über die frohe Botschaft der kuIturellen Begegnung hinaus aus sich selbst heraus sprechen und zum Nachdenken, neuen Hören und Empfinden bewegen können. Vielleicht war es auch symptomatisch, daß, je repräsentativer die Stücke ihr Thema abhandelten, desto mehr die Klischees dominierten.
Unter den drei Uraufführungen wirkte Sandeep Bhagwatis im stets berechenbaren Wechsel von europäischer und chinesischer Klanggruppe sich unendlich hinziehendes Stück am wenigsten profiliert: im fleißigen Handwerk zusammengestrickt, auch wenn kitschige eigene Textz tiefsten Gehalt signaIisieren sollten. Ein kurzes, atemlos vorwärtstreibendes Tanzstück von Shi Pei-Yu entwickelte in den zwischen Klang und Geräusch dahinhuschenden Gesten immerhin starke Atmosphäre.
Weit mehr passierte jedoch in "Die Gesichter des Buddha" von Tung Chao-Ming. Das Opus gewinnt seine suggestive Sprache aus einer grundsätzlichen Erforschung des Instrumentariums heraus, nie wirkt der Klang hier schon fertig vorgegeben, neben dem schönen Ton herrschen merkwürdig gebrochene, beschädigte Klänge, die sich voll assoziativer Energie fortspinnen - spirituell, aber auch mit Zügen von urbaner Ironie. Wunderbar konnte man hier erleben, mit welch unglaublicher Konzentration die acht taiwanesischen Musiker, darunter eine Schlagzeugerin von geradezu akrobatischer Körperbeherrschung, auch ohne Dirigenten wie auf einem einzigen gemeinsamen Atem zusammenspielten.
Das erste Konzert brachte zunächst eine verkitschte Cage-Adaption von Tan Dun, in der das Publikum wie eine Gospelgerneinde ein bißchen mitzuseufzen hatte. Ferner Stücke, die sämtlich, vielleicht gerade weil sie vonwiegend europäische Instrumente benutzten, nicht recht aus den Hörklischees chinesischer Musik herausführten: den langsam ansetzenden und sich bescheunigenden Pulsen, silbrigen Tremoloklängen und überwältigenden crescendo-Walzen.
Einzige Ausnahme bildete "Mist" (englisch) von Qu Xiao-Song. Hier verschwinden beim Hören all solche repräsentativ-leeren Kategorien wie "chinesisch" oder "europäisch", obwohl diese Musik von ihrem Zeitgefühl und von der Versenkung in den Einzelklang her sicherlich ganz chinesisch geerdet ist. Zwischen zwei Sing-Stimmen und den Instrumenten entwickelt sich aus minimalistischen Klangzeichen - einem drohenden tiefen Brummton, einem Seufzer des Soprans -, die von den Instrumenten aufgefangen und entwickelt werden, im Handumdrehen ein komplexes Drama. Psychologisierendes Erzählen und montageartige Abstraktion wechseln sich auf faszinierende Weise ab, Einfühlung und Distanzierung nähern und entrücken das Fremde, das hier als ein Teil des Menschlichen überhaupt erscheint. Sei dies chinesisch oder deutsch.

Martin Wilkening, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.03.2002



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