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Sachgerecht musiziert


Die Lichtgestalten des Berliner Festivals »MaerzMusik«

Nun ist sie dem Schoß entsprungen, die »MaerzMusik - Festival für aktuelle Musik«, Nachfolgerin der Musik-Biennale, die aus dem Osten stammte. Sie rollt nun jedes Jahr einmal ab, bei gleicher Anzahl der Programme, mit der Hälfte des Etats, mit vielen Wiederholungen, also weniger Musik und vor allem viel weniger komponierter Musik. Underdogs der Installations-, Video-, Bild-, Clubzerstreuung füllen die Leerstellen auf. Spar-»Maerz« bietet, was auch ohne sein Angebot da ist. Seine Produkte müssen aktuell sein, mehr nicht. Und wenn das nicht der Fall ist, muß ein Event her, das aktuell ist, weil es hier und jetzt abläuft.

»Maerz« hob an mit alter und komponierter neuer chinesischer Musik. Aufträge ergingen an chinesische Komponisten, einer auch an den hoffnungsvollen jungen Deutschen Christian Utz. »Atemberaubend aktuell« sei der Wandel, den das Land in Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur durchmache. Was der Einbruch des Kapitalismus dortzulande anrichtet, gehört freilich nicht ins musikalische Chinabild der Programmbuchschreiber. Zwei Stücke stachen heraus. »Poème Lyrique II« (1990) - eine Komposition von Chen Qigan, die durchweg die Ereignisse in der Schwebe hält, keine feste Harmonik hat, in der Rhythmisches gebunden und frei abläuft, eine Musik, die von Farben, Glissandi, Sforzati, Tremoli, Percussion-Attacken lebt und hierüber eine Welt des Flirrens, Klapperns und Surrens bewegt.

Das zweite Stück, »Interference für Klavier und acht chinesische Instrumente« (2000) von Christian Utz, verarbeitet mit Hilfe serieller Kompositionstechniken charakteristische Klangmöglichkeiten chinesischer Instrumente - ein Werk, das farben- und nuancenreiche Konfliktbilder verknüpft. Beide Arbeiten wurden vom Nieuw Ensemble Amsterdam unter Ed Spanjaard sachgerecht musiziert.

Das »Cage-Event« verstand sich dann als das Herzstück der »MaerzMusik«. Wie eine Religion strömt Cages Welt durch den Kopf von »Maerz«. Dabei war er selbst nur ein schlichter, sympathischer Bürger, der die Natur so sehr liebte wie die moderne Musik, die moderne Malerei, den modernen Tanz, die moderne Architektur. Lediglich die vorfindbare Kunst schaute er anders an und zog daraus Konsequenzen. Er hat versucht, den Klang von der Harmonie zu emanzipieren, und je mehr das gelang, desto mehr kam sein Gebäude zum Einsturz. Die Cage-Jünger aber hängen dem Glauben an, daß Cage, indem er versuchte, der Harmonie zu entwischen, das gesamte europäische Harmoniegebäude komplett zur Explosion gebracht hätte. Und das ist falsch. John Cages »Sonatas and Interludes« für präpariertes Klavier (1946 - 1948), die Margaret Leng Tan vorbildlich gespielt hat, lassen die Grenze von der Harmonik zum Klang erkennen, die der Komponist in jenen Jahren zu überschreiten begann. An drei Tagen kam Karlheinz Stockhausens »MICHAELs JUGEND« vom »DONNERSTAG« aus »LICHT« (1978/79) für Tenor, Sopran, Baß, Trompete, Bassetthorn, Posaune, Klavier, elektronische Orgel, drei Tänzer und Tonbänder. Tönende Sternenkonstellationen mit kitschigen, kleinbürgerlichen Alltagsszenen, Tripelrollen und verstiegenen Zahlenspielen vermengt, die ein Musiktheater ergeben, das vom ersten bis zum letzten Takt religiös durchströmt ist. Fragt sich der Schreiber dieser Zeilen: Was bringt die größte kompositorische Ressource, wenn sie an falschen Zwecken sich verzehrt?

Stefan Amzoll, Junge Welt, 14.03.2002



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